5. ARBEITS- UND GEWERKSCHAFTSRECHT FÜR DAS MANAGEMENT VON ARBEITSBEZIEHUNGEN UND PARTNERSCHAFTEN
Die EU-Grundrechtecharta ist eine offensichtliche Inspirationsquelle für den Europäischen Gerichtshof bei der Klärung des Inhalts der Grundrechte, die als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts zu achten sind. In der Tat kann die EU-Charta durch die Auslegung des Gerichtshofs als Teil der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts verbindlich werden. Die Dynamik, die der Gerichtshof in den letzten 30 Jahren bei der Anerkennung der Grundrechte als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts an den Tag gelegt hat, gibt Anlass zu der Hoffnung, dass die gleiche gerichtliche Dynamik schließlich auch zur Förderung der Grundrechte in der EU-Charta eingesetzt wird. Die EU-Charta ist aus einer Reihe von Gründen ein positiver Beitrag zur Förderung der Gewerkschaftsrechte in der EU. Die EU-Charta ist eine unabhängige Quelle von Rechten und ist nicht auf die nationale Praxis in den einzelnen Mitgliedstaaten beschränkt. Nationale Bestimmungen, die die Rechte der Charta widerspiegeln, können im nationalen System einen höheren rechtlichen Stellenwert erhalten, vielleicht sogar Verfassungsrang. Die EU-Charta wird die internationalen Quellen für Gewerkschaftsrechte widerspiegeln und kann über diese hinausgehen. In der EU-Charta wird den sozialen und wirtschaftlichen Rechten der gleiche Status zuerkannt wie den bürgerlichen und politischen Rechten. Die Charta übt Druck auf die EU-Institutionen aus, ein europäisches Sozialmodell zu fördern. Dabei sollten die potenziellen Risiken nicht übersehen werden. Die EU-Charta könnte von Arbeitgebern und anderen ausgenutzt werden, um viele in den nationalen Systemen etablierte Grundprinzipien wieder zu öffnen. Die Umsetzung der Charta zielt darauf ab, eine Brücke zwischen programmatischen (sozialen und wirtschaftlichen Rechten) und einklagbaren (bürgerlichen und politischen) Rechten zu schlagen. Einklagbare Rechte sind gleichbedeutend mit wirksamen und einklagbaren Rechten. Die Herausforderung besteht darin, eindeutig einklagbare Gewerkschaftsrechte festzulegen: z. B. Vereinigungsfreiheit, Unterrichtung und Anhörung, Tarifverhandlungen und Kollektivmaßnahmen, und darüber hinaus die Umsetzung programmatischer sozialer und wirtschaftlicher Rechte zu entwickeln: z. B. Gesundheit, Bildung usw. Die Aufgaben einer Umsetzungsstrategie sind dreifach. Erstens, in Bezug auf die einklagbaren Rechte, die Entwicklung einer wirksamen Umsetzung mit Blick auf wirksame Sanktionen, die Verhinderung von Rückschritten, die Beseitigung von Einschränkungen, Schwellenwerten, Ausschlüssen und Änderungen. Zweitens sollen mehr soziale und wirtschaftliche Rechte einklagbar gemacht werden; sie sollen als positive und einklagbare Rechte formuliert werden, einschließlich wirksamer Sanktionen. Drittens, in Bezug auf programmatische Rechte, Umsetzung durch wirksame Überwachung der Regierungspolitik und -maßnahmen, mit möglicher gerichtlicher Überprüfung der Kohärenz und Befugnissen zur Aufhebung. Der EuGH könnte bereit sein, diejenigen gewerkschaftlichen Grundrechte als durch die EU-Charta geschützt anzuerkennen, auf deren Schutz alle, die meisten oder sogar eine kritische Anzahl von Mitgliedstaaten bestehen. Der Gerichtshof kann es für notwendig erachten, etwaige Mängel in den Artikeln der EU-Charta über gewerkschaftliche Grundrechte zu beheben, indem er sie im Einklang mit anderen internationalen Arbeitsnormen auslegt. Gewerkschaftliche Kollektivmaßnahmen wurden häufig eingeschränkt, angeblich um öffentliche und/oder wesentliche Dienste zu schützen. Der IAO-Ausschuss für Vereinigungsfreiheit hat internationale Normen für Kollektivmaßnahmen in öffentlichen/essentiellen Diensten aufgestellt. Unter Berufung auf Artikel 28 der EU-Charta (Recht auf Kollektivmaßnahmen) könnten die Gewerkschaften die Anfechtung restriktiverer nationaler Gesetze unterstützen. Artikel 12 Absatz 1 der Charta über die Vereinigungsfreiheit könnte so ausgelegt werden, dass er Rechte garantiert, die über das hinausgehen, was in einigen nationalen Gesetzen vorgesehen ist, z.B. in Bezug auf die Einmischung in die internen Angelegenheiten einer Gewerkschaft, das Recht auf Anerkennung durch einen Arbeitgeber, den Zugang zu Gewerkschaftsmitgliedern am Arbeitsplatz oder die Teilnahme an Gewerkschaftsaktivitäten. Bei der Auslegung der EU-Charta achtet der EuGH darauf, wo nationale Gesetze die Gewerkschaftsrechte geschützt haben. Durch eine sorgfältige Auswahl von Fällen könnten die Gewerkschaften den Europäischen Gerichtshof dazu bewegen, die in der EU-Charta garantierten Gewerkschaftsrechte weiter auszulegen.